Predigt von Superintendent Mag. Olivier Dantine zum Eröffnungsgottesdienst der Landessynode

Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Makedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Makedonien und hilf uns! Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Makedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen. Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Makedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt. Am Sabbattag gingen wir hinaus vor das Stadttor an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen. Und eine Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, eine Gottesfürchtige, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde. Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.     (Apostelgeschichte 16,9-15)

Liebe Schwestern und Brüder,
Da wird ein aus heutiger Sicht historischer Moment festgehalten: Paulus und seine Begleiter überschreiten die Grenze nach Europa. Das Evangelium und das Bekenntnis zu Jesus Christus trifft auf unseren Kontinent. Wenn Sie mir erlauben, einen umstrittenen Begriff in der politischen Diskussion sowohl in Deutschlang als auch in Österreich zu verwenden, hier liegt der Beginn des „christlichen Abendlandes“. Kaum auszudenken, wie es heute Paulus ergehen würde auf der Bootsfahrt zwischen der heutigen Türkei und dem heutigen Griechenland. Hätte das Evangelium heutzutage eine Chance, nach Europa zu kommen? Wie sähe es dann mit dem „christlichen Abendland“ aus?


Diese Gedanken sind freilich anachronistisch und damit ist die Gefahr groß, einen Bibeltext polemisch auszuweiden. Und doch gibt diese Erzählung uns zu denken. Etwa darüber, woher unser viel beschworenes christliches Erbe kommt. Und, so wie an dieser Grenze im Ägäischen Meer die Zukunft des christlichen Bekenntnis in Europa am Scheidepunkt war, so sehe ich heute auch an den Außengrenzen der Europäischen Union ein Kriterium für die Ausrichtung Europas. Wer von einem christlichen Europa spricht, muss die Augen und Ohren zu seinen Grenzen richten. Daran, wie mit den Zuflucht suchenden Menschen an den Grenzen umgegangen wird, entscheidet sich die Glaubwürdigkeit des Projektes der Europäischen Einigung. Aber gerade an dieser Frage öffnet sich ein Riss durch Europa. Die Fluchtbewegungen gerade im Herbst vergangenen Jahres haben gezeigt, was für eine riesige Herausforderung die Krisenherde der Welt auch für die Europäischen Staaten bedeuten. Eine Haltung, wonach uns Europäer diese Krisenherde nichts angehen, ist schlichtweg nicht möglich.


Und hier, in der Grenzregion zwischen Österreich und Bayern, sei es in Salzburg, sei es in Kufstein, lagen zwei der Hotspots dieser Bewegung. Behörden, Einsatzkräfte, Hilfsorganisationen, freiwillige Helfer und auch Kirchengemeinden auf beiden Seiten der Grenze waren hier gefordert und haben sehr viel geleistet, damit diese Situation auf möglichst menschliche und respektvolle Weise bewältigt werden konnte. Eine Erfahrung, welche uns in der Begegnung im Rahmen der EuRegio-Treffen von Pfarrerinnen und Pfarrern dies- und jenseits der Grenze gemeinsam geprägt hat – genauso auch die Erfahrung, wieder eine Grenze als Grenze wahrnehmen zu müssen, die eine schon lange in persönlichen und beruflichen Beziehungen sowie im Freizeitverhalten zusammengewachsene Region durchschneidet.


Wer sich an offene Grenzen gewöhnt hat, ist kein Freund von Grenzen. Wer aber in der Bibel nach dem Wort „Grenze“ sucht, wird keine Kritik an geografischen Grenzen finden. Und vermutlich ist das zunächst für all jene enttäuschend, die sich nach einem Europa ohne Grenzen sehnen, und auch für all jene, denen das Schicksal der Flüchtlinge an den Grenzen alles andere als gleichgültig ist, und die deren Sehnsucht nach einem Weiterkommen durch mit hohen Zäunen geschützten Grenzen gut verstehen können.
Die Bibel versteht unter Grenzen etwas Gutes und Schützenswertes. Schon Gottes Schöpfung ist ein Setzen von Grenzen. Zwischen Licht und Finsternis, Wasser und Festland. Mit Grenzsetzungen schafft Gott die Grundlage zum Leben. Auch für das Volk Israel. Zu den Verheißungen an das Volk Israel gehört, dass Gott seinen Grenzen Frieden schaffen wird (Ps 147,14).


Es verwundert nicht, dass das Wort „Grenze“ das häufigste Vorkommen im Buch Josua hat. Die Ansiedelung im Land Kanaan erforderte Grenzziehungen. Auch das gibt es eben in der Bibel: Abgrenzungen zu andern Völkern, Abgrenzungen auch zwischen Stämmen des Volkes Israel.
Immer wieder liest man auch von der Warnung, Grenzen zu verschieben (etwa 5. Mose 19,14). Gott schützt sein Volk davor, dass seine Grenzen verschoben werden, es soll in seinen Grenzen in Frieden leben können.


Was aber in der Bibel unter dem Eindruck von Eroberungsfeldzügen von feindlich gesinnten Großmächten aus Sicht eines im Verhältnis kleinen Volkes geschrieben wurde, eignet sich nur bedingt als Maßstab für unseren heutigen Umgang mit Grenzen angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation in Europa. Keinesfalls kann es dazu dienen, ein In-Kauf-Nehmen einer humanitären Katastrophe an Europas Außen- oder Binnengrenzen zu rechtfertigen. Grenzen sollen Menschen schützen und nicht gefährden.
Das wird an mancher Stelle in der Bibel besonders deutlich. Der HERR wird … die Grenze der Witwe schützen. (Sprüche 15,25b) Hier ist freilich keine Landesgrenze gemeint, sondern eine Grundstücksgrenze, aber ich halte es schon für einen wichtigen Hinweis, warum Gott Grenzen schützen möchte: Es geht gerade um den Schutz der verletzlichsten Menschen. Wer daher über Grenzen und deren Schutz redet, sollte das nicht tun, ohne gleichzeitig über den Schutz verletzlicher Menschen zu reden.
Es ist gut, dass Kirchen unterschiedlichster Konfessionen in vielen Ländern Europas sehr eindeutig eine Grenzziehung gegen menschenunwürdige Flüchtlingspolitik einfordern. Denn eine Politik auf Kosten der verletzlichsten Menschen kratzt an den geistigen Fundamenten Europas.
Eines dieser Fundamente ist das Evangelium vom menschgewordenen und menschenfreundlichen Gott, der gerade für die Schwächsten Partei ergreift. Es ist dieses Evangelium, das mit Paulus die Grenze nach Europa überschritten hat. Das Evangelium, das sich auch nicht nach unseren Wünschen und Bedürfnissen nach Bequemlichkeit richtet. Das Evangelium, das uns auch immer wieder überraschende Begegnungen ermöglicht.
Paulus macht sich aufgrund eines Traumes auf den Weg nach Mazedonien. Ein Mann bat ihn im Traum, herüber zu kommen. Paulus setzt über, um einen Mann zu erwarten, begegnet aber einer Frau, der Purpurhändlerin Lydia. Sie wird die erste Christusgläubige in Europa. Eine einschneidende Begegnung für beide Seiten. Das Überschreiten einer Grenze war Voraussetzung dafür. Wird man es heute auch sagen können, dass Grenzen Orte für entscheidende Begegnung sind? Jedenfalls sind Grenzen Orte, an denen Horizonterweiterungen passieren. Das galt für Paulus, der dieser selbstbewussten Geschäftsfrau Lydia begegnet, das galt für Lydia, die auf das Evangelium trifft.
Horizonterweiterung ist auch das, was viele Menschen als ihren Gewinn betrachten, wenn sie sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren. Horizonterweiterung ist das, was viele berechtigterweise auch von jenen erwarten, die in Europa eine neue Heimat finden. Diese Horizonterweiterung wird aber nur durch die Begegnung mit dem anderen ermöglicht. Und gerade die Kirchen sind es, die neben der diakonisch-caritativen Arbeit auch in vielen Fällen den Raum für diese Begegnungen anbieten. Und damit helfen Sie mit, die enormen Herausforderungen, die die Zuwanderung von so vielen Flüchtlingen bedeuten, zu bewältigen. Und genau in dieser vielfältigen Arbeit wird das sichtbar, was vielen als das christliche Erbe Europas so wichtig ist: Solidarität, die nicht an den eigenen Grenzen halt macht. Eine Solidarität, die in der Barmherzigkeit Gottes begründet ist. Die Barmherzigkeit, für die Gott keine Grenzen kennt.
 

Olivier Dantine, Superintendent für Salzburg und Tirol