Antisemitismus im Alltag bekämpfen

Beim Zeitzeugengespräch am BPFI von links: Dekan Peter Bertram, Landrat Georg Grabner, Ehrengast Dr. Charlotte Knobloch, Ainrings Bürgermeister Hans Eschlberger, Leitender Polizeidirektor Johann Peter Holzner und Oberstaatsanwalt Volker Ziegler
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Zeitzeugengespräch mit Charlotte Knobloch am BPFI Ainring

Pressemitteilung des Fortbildungsinstituts der Bayerischen Polizei vom 04.04.2019, Fotos: BPFI

Wachsender Antisemitismus und Populismus machen ihr Sorge, gleichzeitig zeigte sich Charlotte Knobloch am Mittwochabend voller Optimismus und festem Glauben an ihr Heimatland Deutschland.

Die 86-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern ist eine unermüdliche Kämpferin für Freiheit und Demokratie und war auf Einladung des Fortbildungsinstituts der Bayerischen Polizei (BPFI) zu Gast, wo sie vor Ehrengästen, Mitarbeitern und Seminarteilnehmern mit ihren Ausführungen beeindruckte.

<--break->Zu Beginn der Veranstaltung zeigte sich der Institutsleiter des BPFI, Leitender Polizeidirektor Johann Peter Holzner, sehr erfreut über das große Interesse an der Veranstaltung. Bis auf den letzten Platz war der vom Organisationsteam liebevoll gestaltete Saal im BPFI voll. Landrat Georg Grabner und Bürgermeister benachbarter Gemeinden waren ebenso anwesend wie Vertreter der Kirchen. Eine große Resonanz bestand auch bei den Schulen. Rektoren und Lehrer von Grundschulen, Mittelschulen, Realschulen, Gymnasien, Berufsschulen waren zahlreich vertreten. Die Staatsanwaltschaft Traunstein, Leiter der Kriminal- und Polizeiinspektionen sowie der Bundespolizeiinspektion Freilassing waren ebenso gekommen wie Mitarbeiter des BPFI und Seminarteilnehmer.

„Staat und Behörden machen sehr viel“, sagte Knobloch. Wenn auch manches davon spät gekommen sei. Von Politik und Regierung fühlt sie Rückhalt, das stehe völlig außer Zweifel. Was ihr aber tatsächlich fehle, sei die Unterstützung aus der gesamten Gesellschaft. Gerade von Institutionen, die viele Menschen erreichen könnten, erhoffe sie sich mehr Beistand, etwa von den Kirchen. Lob sprach sie den Schulen aus, die den jungen Menschen die Geschichte des Holocaust und der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus gut vermittelten mit der Botschaft, dass so etwas nicht mehr geschehen darf. Sie nannte es eine Herausforderung und eine große Verantwortung für die jungen Menschen, den „Stab der Erinnerung“ weiterzugeben, auch wenn in einigen Jahren keine Zeitzeugen mehr leben und von ihrer persönlichen Geschichte erzählen können.

Die antisemitische Stimmungslage in Deutschland verstärkt habe auch die erhöhte Zuwanderung von flüchtenden Menschen im Jahr 2015, sagte Charlotte Knobloch. Es seien Ängste vor dem Fremden und dem Anderssein, die hier in Menschen hochstiegen. Zur gefühlten Sicherheitslage der jüdischen Gemeinschaft erklärte sie, dass die Unsicherheit im Moment groß sei. Jüdische Kinder würden an Allgemeinschulen gemobbt. Sie selbst habe auf dem Oktoberfest erlebt, dass sich Menschen nicht zu ihr an den Tisch setzen wollten und sie nehme wahr, dass der Antisemitismus in ganz Europa zunehme. „Selbst in Ländern, in denen gar keine Juden leben.“ Als Länder mit wachsendem Antisemitismus – den Knobloch als Judenhass bezeichnete – nannte sie namentlich unter anderem Frankreich und die nordischen Staaten. Soziale Netzwerke befeuerten die Stimmungslage enorm. „Ganz furchtbar“, so Knobloch.
 
Nahe gingen dem Publikum vor allem auch die Schilderungen aus Knoblochs Leben, als der Nationalsozialismus aufkeimte und sie als kleines Mädchen plötzlich nicht mehr mit anderen Kindern spielen durfte. Wie sie in der so genannten „Reichsprogromnacht“ am 9. November 1938 an der Hand ihres Vaters durch München floh und die Synagoge brennen sah. Wie ihr Vater die junge Charlotte zu Bekannten nach Mittelfranken brachte und sie dort unter falschem Namen bis Kriegsende bleiben konnte, bis sie wieder nach München zurückkehrte. Wobei sich ihr Innerstes zuerst gesträubt habe, in die Stadt und zu den Menschen zurückzukehren, von denen sie sich verraten fühlte.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde betonte, dass das Verhältnis der jüdischen Gemeinde zu Sicherheitseinrichtungen und Behörden heutzutage speziell in Bayern sehr gut sei und dass sie viel Unterstützung erfahre. Das sei nicht in allen deutschen Bundesländern gleich. „Ich glaube an dieses wunderbare Land“, betonte Knobloch. Und schob mit Blick auf populistische und antisemitische Töne nach: „So etwas hat Deutschland nicht verdient.“ Nach ihrer Rede im Bayerischen Landtag Ende Januar, in der sie die AfD als verfassungsfeindlich bezeichnete und diese dann mehrheitlich das Plenum verließ, habe sie viele Beschimpfungen und Bedrohungen erlebt. Aber auch viel positive Unterstützung. „Ich habe einen ganzen Ordner voll davon in meinem Büro stehen.“

Der Fachbereichsleiter Kriminalistik beim BPFI, Kriminaloberrat Gerold Wiesbacher informierte über das Bayerische Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und vermittelte, mit welchen Seminaren und Veranstaltungen das Thema Extremismus in der Fortbildung der Bayerischen Polizei behandelt wird. Eine wichtige Einrichtung ist die seit zehn Jahren bestehende Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE). Im Internet kann jedermann über www.bige.bayern.de umfassende Informationen abrufen oder sich zu Beratungsangeboten oder ein Aussteigerprogramm informieren. Neu gibt es in Bayern auch eine Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS), wo Bürger online Wahrnehmungen zu antisemitischen Vorfällen melden können und Betroffene Unterstützung erhalten können (www.report-antisemitsm.de).

Abschließend dankte Institutsleiter Holzner Charlotte Knobloch für das interessante Zeitzeugengespräch. Er ging auch auf die Dokumentation Obersalzberg und die im BPFI befindliche Ausstellung über den ehemaligen „Reichsflughafen“ in Ainring ein, bezeichnete diese als wichtige Lern- und Erinnerungsorte und dankte Landrat Georg Grabner und Bürgermeister Hans Eschlberger, Gemeinde Ainring, für deren Engagement bei der Errichtung der Ausstellungen.