Fast alle Menschen wünschen sich, zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung zu sterben. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die meisten Menschen in Deutschland sterben im Krankenhaus und in Pflegeheimen. Todkranke und sterbende Menschen, aber auch ihre An- und Zugehörigen brauchen für einen würdigen Abschied Begleitung und Halt. Dazu gehören eine fachlich gute Palliativmedizin und Pflege, aber auch psychosoziale Unterstützung und seelsorgerliche Begleitung. Diese umfasst immer auch Abschieds- und Trauerbegleitung. Die Diakonie Bayern stellt diese Arbeitsbereiche in den Mittelpunkt ihrer diesjährigen Herbstsammlung, die vom 14. bis zum 20. Oktober im gesamten Freistaat stattfindet. Im Dekanat Traunstein eröffnete Dekan Peter Bertram gemeinsam mit Diakonie-Vorstandssprecher Andreas Karau die Sammlungswoche mit einem feierlichen Gottesdienst in der Auferstehungskirche, unter Mitwirkung von Mitarbeitenden aus Diakonie und Netzwerk Hospiz. Höhepunkt des Gottesdienstes war die bewegende Kanzelrede von Professorin Dr. med. Claudia Bausewein, Direktorin der Klinik für Palliativmedizin am LMU-Klinikum München und Lehrstuhlinhaberin für Palliativmedizin an der LMU. Am Ende des Gottesdienstes wurde Michael Schnappinger als neuer Leiter des Seniorenzentrums Wartberghöhe für seinen Dienst gesegnet.
„Wer sich mit Fragen des Lebensendes beschäftigt, der beschäftigt sich zugleich mit den Fragen des Lebens“, sagte Dekan Peter Bertram zu Beginn des Gottesdienstes. Das verdeutlichten auch die Beiträge von Rita Hafner, Leiterin der Diakoniestation Freilassing, Andreas Aschauer vom Netzwerk Hospiz und Markus Schneider, Fachbereichsleitung Seniorenhilfe in der Diakonie. Den Pflegedienst der Diakonie erreicht der Anruf eines Angehörigen meistens in großer Not und Hilflosigkeit. Ab diesem Zeitpunkt gilt es, schnellstmöglich fachkundige Pflegeleistungen zu organisieren und sicherzustellen. Die pflegerische Begleitung findet oft bis zum Lebensende statt. In dieser Phase helfen Mitarbeitende des Netzwerks Hospiz, eine bestmögliche medizinische Versorgung zu sichern und belastende Krankheitssymptome zu mindern. Wie wichtig diese Hilfen für Angehörige sind und auch für ihn und seine Familie bei der Sterbebegleitung seiner Mutter waren, verdeutlichte Markus Schneider mit bewegenden Worten.
Es sind diese existenziellen Fragen, Ängste und Sorgen, die es schwer machen, sich mit dem Thema Sterben auseinanderzusetzen. „Ja, wir verdrängen den Tod“, bestätigte Prof. Claudia Bausewein zu Beginn ihrer Kanzelrede, „doch auch wenn wir nicht wissen, wann und wie, so gibt es doch nichts Sichereres in unserem Leben, als dass wir und uns liebe Menschen sterben werden.“ Davor liege für die meisten Menschen ein längerer Leidensweg, bedingt durch eine akute oder lange Krankheit. Obgleich es während dieser Phase viele Maßnahmen wie Chemo- und Strahlentherapie zur Verlängerung des Lebens gibt, können auch diese irgendwann ihre Wirkung verlieren. Das einzugestehen, falle schwer. „Es ist oft zu schmerzhaft, dieser Realität ins Auge zu sehen“, weiß Bausewein. Dabei könne die Beendigung von Behandlungen, die sich auf die Erkrankung fokussieren, oft ein „Mehr“ bedeuten. Besonders, wenn diese Behandlungen ab einem gewissen Zeitpunkt noch kränker machen und der Körper sie nicht mehr aushalten kann. Spätestens dann komme die Palliativversorgung ins Spiel, bei der der Fokus nicht mehr auf der Behandlung der Erkrankung, sondern auf der Verbesserung der Lebensqualität von Menschen in der letzten Phase ihres Lebens liegt. Diese soll mit so wenig körperlichen Beschwerden wie möglich verbunden sein.
Eine solche Betreuung könne sehr intensiv sein, unterstrich Bausewein, ob in der medizinischen, pflegerischen und psychosozialen Begleitung oder in der Begleitung bei spirituell existenziellen Fragen. Dennoch sei es eine Grundhaltung in der Palliativversorgung, dass alles, was Patienten und Angehörigen gesagt wird, der Wahrheit entsprechen muss, auch wenn es schwer ist. Das gelte ebenso für Angehörige. „Wenn wir nicht die Wahrheit sagen, auch wenn es gut gemeint ist, verlieren wir das Vertrauen der Betroffenen“, hob Bausewein hervor. Die Änderung des Blickwinkels von der Behandlung der Erkrankung, und dem dann unrealistischem Ziel der Lebensverlängerung, hin auf die Lebensqualität und das Hier und Jetzt, schaffe mehr Raum für den Menschen und seine Lebenssituation. Es kann helfen, das, was in der verbleibenden Lebenszeit wichtig ist, in den Vordergrund zu stellen. Wobei die jeweilige Person bestimmt, was tatsächlich wichtig ist. Wie möchten Sie die verbleibende Zeit nutzen? Wie möchten Sie betreut werden? Wen möchten Sie noch einmal sehen? Was möchten Sie noch klären? Die Klärung solcher Fragen helfe, aus dem „Weniger“ ein „Mehr“ zu machen.
Obwohl viele Gespräche in der Begleitung wichtig sind, gebe es auch Momente des Schweigens und der Stille, die wertvolle Räume öffnen. „In diesen Momenten geschieht nicht Nichts“, sagte Bausewein, „sondern gehen Patienten und Angehörigen eigenen Gedanken nach oder verarbeiten das gerade Gesagte.“ Gerade am Lebensende entstehen jedoch auch Fragen, auf die es keine Antwort gibt, so Bausewein. So sei es ihr bei einer jungen Mutter ergangen, die während ihrer Schwangerschaft eine Krebserkrankung bekam und kurz nach der Entbindung auf die Palliativstation zum Sterben kam. Auf ihre Frage, warum sie jetzt schon sterben muss und nicht erleben darf, wie ihre Tochter aufwächst, gebe es schlicht keine Antworten. Dennoch wollen auch diese Fragen gestellt werden und wünschen sich Menschen, dass jemand die Situation mit ihnen aushält. Gerade dann sei es besser zu schweigen, als vorschnelle Antworten oder Ratschläge zu geben.
„Wenn Menschen sterben, sterben sie selten allein“, betonte Bausewein. Mit eindrücklichen Worten beschrieb sie, wie gerade am Lebensende noch einmal ganz besondere Nähe, Verbundenheit und kostbare Momente, aber auch Streit, Ärger und schwierige Familiensituationen entstehen können. Vielen Angehörigen sei es zudem ein großes Bedürfnis, den sterbenden Menschen zu begleiten. Manche möchten vielleicht gar nicht mehr vom Bett weggehen. Das kann dem Sterbenden Geborgenheit und Sicherheit geben. Manche brauchen aber auch Freiräume, um sterben zu können. Dann passiere es, dass ein Mensch gerade in der kurzen Zeit stirbt, in der sich ein Angehöriger einen Kaffee holt oder beim Duschen ist. „Unsere Erfahrung zeigt“, so Bausewein „dass wenn ein Sterbender im Beisein der Angehörigen sterben möchte, dies auch so sein wird, während andere sich durch die ständige Anwesenheit der Angehörigen eher festgehalten fühlen.“
Das Lebensende kann noch einmal eine intensive Auseinandersetzung mit seinem Glauben sein. Während für manche die Beziehung zu Gott intensiver wird und der Glaube einen großen Halt gibt, verlieren andere den Zugang zu Gott oder finden wieder andere überhaupt erst in Anbetracht des Lebensendes zu einer persönlichen Gottesbeziehung. Eine auch heute hilfreiche Sichtweise ist nach Ansicht Bauseweins der Rat, den Ignatius von Loyola, Gründer des Jesuitenordens, in seinem Exerzitien Buch gab. Er empfiehlt, das Leben und wichtige Entscheidungen im Leben vom Ende her zu denken. Es stelle sich also die Frage, wie ich gelebt und entschieden haben möchte, wenn ich am Lebensende auf mein Leben zurückblicke. „Als Christen dürfen wir darauf vertrauen, unser Leben zu gewinnen, auch wenn wir es im Sterben verlieren“, schloss Bausewein.
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